Vor fast zwei Jahren habe ich mir den ersten Pi gekauft, eine moderne Nutzung meiner Musiksammlung sollte her. Es wurde dann ein Pi 2 mit einem Mediencenter drauf, CDs wurden zu hunderten digitalisiert und als MP3 auf dem eingelegten Datenträger abgelegt. Zeitgleich habe ich mir ein gebrauchtes Tablet geholt, damit ich mit Yatse die Musikdateien abspielen lassen kann. Das kleine Projekt hat einige Stunden gekostet und auch Spaß gemacht. Der eingeschlagene Weg hat sich als richtig erwiesen.
Nachdem ich da nun etwas Blut geleckt habe, kam das nächste Projekt: ich wollte „irgendwie“ meinen Windows-PC zu hause von der Ferne aus einschalten können, ohne dass ich den PC „am Internet hängen“ habe. Eine mögliche Lösung wurde auf Basis des Pi angedacht und realisiert.
Bei Beginn meines kleinen Projektes habe ich mich an ein Gespräch erinnert, dass ich Ende der 1990er Jahre mit meinem Chef geführt habe, es ging um Linux. Er vertrat die Ansicht, dass Linux die Zukunft gehört und dass dieses Betriebssystem die Computerwelt auf links drehen wird, die etablierten Konzerne werden sich noch umschauen. Meine Kette an Gegenargumenten war beliebig lange und (aus heutiger Sicht) dennoch nichtzutreffend. Beruflich hatte ich 2013 erstmals Kontakt mit Linux, davor waren es die Windows dieser Welt, DEC OpenVMS war genauso dabei wie OS/2 und AIX und dann noch Solaris. „Kennst Du eines – kennst Du alle“, so mein Gedanke und dann kam Raspian. Ich wollte auch mal wieder in C Programmieren auch wenn der letzte Compilerstart im letzten Jahrtausend stattfand. Also wurde der zweite Pi gekauft und los ging‘s.
Was ich dabei an Erfahrungen gesammelt habe, ließ mich immer wieder positiv erstaunen und vor Begeisterung sehr weit in meinem Schreibtischstuhl zurücklehnen. Ich hätte nicht gedacht, dass ein freies Betriebssystem so viele Perlen enthalten kann, ein paar Beispiele dafür mögen genügen. Der gcc Compiler & Linker ist für mich ein rattenscharfes Werkzeug, Geany als IDE hat mir den Einstieg erleichtert. Und diese IDE kann durchaus mit dem mithalten, was ich Ende des letzten Jahrtausends als IDE für OS/2-C/C++ erlebt habe (oder genauer: an was ich mich erinnern kann, hihi). Die GUI zum Raspian (also der Desktop) ist selbsterklärend und funktioniert für mich richtig klasse, mehr brauche ich nicht auf meinem Spiel- und Bastelrechner. Mit etwas Basiswissen über Netzwerke kann ich den Pi mit meinem Windows-PC kommunizieren lassen, Zugriff per RDP funktioniert schnell und zuverlässig. Hilfe gibt es nahezu unbegrenzt – nicht nur die Menge betreffend.
Es gab bisher auch einige Momente des blanken Entsetzens und der Enttäuschung. Das konsequente Verweisen auf man-pages hat mich gelegentlich zur Weißglut getrieben. Im 21. Jahrhundert sollte Einsicht bestehen, dass Dokumentationen ohne Bilder/Grafiken nicht mehr zeitgemäß sind. Es erscheint, dass die Erkenntnis „Bilder sagen mehr als Worte“ nicht überall angekommen ist. Warum gibt es kein Wiki, dass im OS fest eingebaut ist? Nahezu jedes Programm hat eine eigene Form, wie die Einstellungen (ini-Dateien) gespeichert werden. Bitter die Erkenntnis, dass ein Standard sich vermissen lässt. In Gedanken klopfe ich Bill Gates auf die Schultern, dass er mit der Registry einen anderen Weg eingeschlagen hat. Schön, dass die # der frei verfügbaren Pakete täglich wächst, unschön, dass es fast alles Kommandozeilenprogramme sind, die ausgeliefert werden. Die Nutzung einer GUI ist nicht nur Newstyle der Generation post Golf sondern bietet auch den Vorteil, dass die allermeisten Programme dadurch selbst erklärend sind. Von den allermeisten Kommandozeilenprogrammen kann ich das leider nicht behaupten. Zu freien Programmen liegt meistens auch der Quellcode nach kurzer Suche vor. Das ist eine prima Sache, wenn man sich für’s Programmieren interessiert; mir erscheint es so, dass es oft genug erforderlich ist, sich durch Quelltexte zu wühlen, weil eine Dokumentation, die den Namen verdient, nicht verfügbar ist. Da erinnere ich mich an Zeiten, als Apple noch Programme anderer Hersteller freigegeben hat, weil sie sich dem eigenen Standard an Qualität verpflichtet gefühlt haben. Es ist eine klasse Idee, dass man Raspian in jeglicher Hinsicht anpassen kann und es sehr granulare Möglichkeiten bietet, es für seine Bedürfnisse zu tunen. Unschön wird es nur, wenn es irgendwo klemmt und man von 100ste ins 1000ste schliddert.
Nun, nach rund 20 Jahren Linux hätte ich eigentlich gedacht, dass die große Gemeinde deutlich weitergekommen ist. Wenn ich mich speziell beim Raspberry darauf entsinne, dass es ein Lern- und Ausbildungscomputer ist, dann komme ich zu einem ganz anderen Schluss: Was für ein bockstarkes Teil mit sehr hohem Spaßfaktor und der Möglichkeit, die eigene Lernkurve beliebig steil verlaufen zu lassen. Danke an die Macher und Danke an all diejenigen, die dazu beitragen, dass der Lernstoff nicht ausgeht! Und danke an alle, die helfen, sich einsetzen, ihre Zeit investieren und auch einem alten Hasen wir mir Tipps und Ratschläge geben können und wollen - haltet durch, es lohnt sich!