Hallo zusammen,
in letzter Zeit häufen sich wieder einige Threads, die sich mit der Entfeuchtung von Räumen beschäftigen. Da hier einiges drunter und drüber verargumentiert wird, möchte ich in diesem Thread theoretische Grundlagen schaffen, um ein einheitliches Verständnis für diese Thematik aufzubauen.
In diesem Tutorial möchte ich:
- die Begriffe eindeutig klären,
- die Zusammenhänge verdeutlichen und aufzeigen, an welchen Rädchen man drehen kann und wie sich das auf die Feuchtigkeit im Raum auswirkt,
- laienhaftem Verständnis ein Ende bereiten.
- zeigen, wie man effizient für ein schimmelfreies und angenehmes Raumklima sorgen kann
1. Dampfdruckkurve
Fangen wir mal mit einer Graphik zum Warmwerden an [Quelle: Ausgabe des Programms taupunkt.icn]:
Diese Graphik enthält den Partialdruck von Wasser aufgetragen gegen die Temperatur.
Kennt jeder: Wasser im Kochtopf wird erwärmt. Wasser verdampft, Wasser kocht, der Druck steigt. Hat der Druck den Umgebungsluftdruck erreicht, siedet die Flüssigkeit.
Wissenschaftlich ausdgedrückt: Erreicht der Partialdruck den Luftdruck, dann siedet eine Substanz.
Man erkennt hier zwei verschiedene Messreihen:
- Blaue Kreise (berechnet mit der Magnus-Formel), die bei kleinen Temperaturen wie hier im Ausschnitt dargestellt, brauchbare Werte liefert. Im Bereich des Siedepunktes (bei 101325 Pa = 1atm bei 100 °C) sind die Abweichungen um 3 %). Wenn ich mir schon die Mühe mache, sowas zu berechnen, dann soll das auch so genau wie möglich werden.
procedure saettigungsdampfdruck(t)
if -65 <= t <= 0.01 then
{
K1 := 6.112
K2 := 22.46
K3 := 272.62
}
if 0.01 <= t <= 60 then
{
K1 := 6.112
K2 := 17.62
K3 := 243.12
}
else
{
K1 := 6.112
K2 := 17.62
K3 := 243.12
}
return K1 * exp(K2 * t / (K3 + t))
end
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- Rote Punkte (berechnet mit der Goff-Gratch-Gleichung) (ist wohl das Beste, was es momentan, d.h. seit 1949, gibt) - die Abweichungen zu Messreihen sind mit << 1 Promille vernachlässigbar gering.
procedure goff_gratch(t)
lg_vp := -7.90298 * (373.15/(273.15+t) - 1) +
5.02808 * lg(373.15/(273.15+t)) -
1.3816 * 0.0000001 * (10^(11.344 * (1-(273.15 + t)/373.15)) -1) +
8.1328 * (10^(-3)) * (10^(-3.49149 * (373.15/(273.15 + t)) - 1) - 1) +
lg(1013.25) # p in hPa
vp := 10^lg_vp
return vp
end
procedure goff_gratch-schulz(t, p)
lg_vp := -7.90298 * (373.15/(273.15+t) - 1) +
5.02808 * lg(373.15/(273.15+t)) -
1.3816 * 0.0000001 * (10^(11.344 * (1-(273.15 + t)/373.15)) -1) +
8.1328 * (10^(-3)) * (10^(-3.49149 * (373.15/(273.15 + t)) - 1) - 1) +
lg(p) # p in hPa
vp := 10^lg_vp
return vp
end
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[Kaum zu glauben: Die Goff-Gratch-Gleichung hat auf Anhieb das richtige Ergebnis geliefert...]
Was kann man mit dieser Kurve anfangen?
Bewegen wir uns mal gedanklich auf die Koordinate (30 °C | 30 hPa). OK. Wem das jetzt nicht viel sagt, ein typischer Sommertag, schön warm, angenehmes Klima, nicht zu feucht, nicht zu trocken in der Luft. Jeder - ähm, fast jeder von uns - würde dieses Wetter nutzen, um die Wohnung durchzulüften. Ob das jetzt weise ist, werden wir gleich herausarbeiten. OK. Mit der Druckangabe können wir wahrscheinlich nicht viel anfangen. Das wird sich aber bald ändern.
Wir bewegen uns von der Koordinate (30 °C | 30 hPa) nach links. Wir schneiden die Messkurve [rote Punkte] bei (24 °C | 30 hPa). Die Temperatur von 24 °C ist der sog. Taupunkt. Die y-Koordinate wird als Wasserdampfpartialdruck bezeichnet.
Taupunkt: Ist die Temperatur, bei der Dampf kondensiert, wenn er auf etwas stößt, dessen Oberfläche eine Temperatur <= Taupunkt aufweist.
Das kennen wir aus dem Alltag:
1. Heißduschen im kalten Badezimmer - Spiegel beschlägt. Oder wissenschaftlich ausgedrückt: Die Temperatur des Spiegels ist kleiner als der Taupunkt der Luft mit einem gewissen Wasserdampfgehalt.
2. Glas mit kalter Flüssigkeit füllen. Innerhalb von Sekunden beschlägt das Glas (ja, man ahnt es schon: Die Temperatur des Glases wird durch die kalte Flüssigkeit auf unterhalb des Taupunktes abgekühlt, die Luftfeuchtigkeit in unmittelbarer Glasnähe kühlt sich ebenso ab - Wassertröpfchen kondensieren auf der Glasoberfläche)
Erkenntnis: Einen Raum mit (zu feuchter) Luft zu lüften ist kontraproduktiv, wenn nicht gleichzeitig durch Wärmequellen dafür gesorgt wird, dass der entsprechende Taupunkt nicht (deutlich) überschritten wird.
Bewegen wir uns von der Koordinate (30 °C | 30 hPa) nach oben. Die Kurve wird in der Koordinate (30 °C | 43 hPa) geschnitten. Die y-Koordinate wird jetzt als Sättigungsdampfdruck bezeichnet. Dies entspricht dem Luftdruck, bei dem Wasser dieser Temperatur sieden würde.
Wir dividieren mal den Wasserdampfpartialdruck durch den Sättigungsdampfdruck. Da kommt was von 0,7 bzw. 70 % heraus. Dieser Quotient wird als relative Luftfeuchtigkeit bezeichnet. Diese Größe ist mit einfachen Sensoren oder Messgeräten messbar - obgleich die Abweichung vom wahren Wert recht groß sein kann. 2,5 bis 3 % Abweichung sollte man immer in Betracht ziehen.
Für die Validierung eines Reinraums habe ich mich mal mit Messmitteln eingedeckt und kalibrieren lassen. Mein Datenlogger hat laut Kalibrierschein eine erstaunlich geringe Abweichung von 0,1 %rF. NEIN! Den gebe ich nicht mehr her...
...
EDIT 21-Jun-2020:
So, weiter geht's... Ich bin ja so faul. Statt die noch fehlenden Berechnungen mal eben mit Taschenrechner oder Tabellenkalkulation durchzuziehen, habe ich ein weiteres Tool in Icon programmiert.
2 Die absolute Luftfeuchtigkeit
Bedeutet das jetzt, das man jetzt lüften soll, wenn die relative Luftfeuchtigkeit im Zimmer größer bzw. zu groß ist und die relative Luftfeuchtigkeit draußen kleiner (als innen) ist. Ja, aber nicht immer. Es kommt halt drauf an.
Die entscheidende Größe, die zu dieser Entscheidung führt, ist der Wassereintrag bzw. Feuchtigkeitseintrag, den ich durch Lüften in den Raum bekomme. Dieser Wassereintrag nennt sich absolute Luftfeuchtigkeit. Dieser Wert ist das einzige Kriteriem, das darüber entscheidet, ob man durch Lüften einen Raum entfeuchten kann - oder die Sache nur verschlimmert.
Beispiel:
1. Duschen. Der Spiegel ist beschlagen, die Kacheln auch (nimmt man nur nicht wahr). Klar, mit "Fenster auf und den Dunst abziehen lassen - egal, was draußen klimatechnisch passiert" ist man da (fast immer) auf der sicheren Seite. Wenn der Spiegel wieder trocken ist, dann ist auch die relative Luftfeuchtigkeit wieder einigermaßen im sicheren Bereich. ABER: Sollte ich in diesem Tutorial die Dynamik kleinster Tröpfchen anschneiden, ist das noch nicht die ganze Wahrheit...
2. Wäsche trocknen: Wenn man die Wäsche nur in der Wohnung trocknen kann, dann dafür sorgen, dass die Feuchtigkeit die Wohnung verlassen kann, bevor, diese in die Möbel / Wände ziehen kann. Hier ist es sicherlich eine gute Wahl, das Fenster geöffnet zu haben, solange es im Zimmer eine relative Luftfeuchtigkeit von > 65 %rF gibt.
3. Mensch... Das habe ich auch erst vor ein paar Tagen zur Kenntnis genommen. Der Mensch atmet in der Stunde rund 100 g = 100 ml Wasser aus, die sich in der Umgebungsluft verteilt. Nehmen wir mal an, ein Mensch schläft in seinem Schlafzimmer rund 8 Stunden. Das sind 800 g Wasser. Bei einer Zimmergröße von 5x4x2,5 m³ sind das 50 m³. Nehmen wir mal im günstigsten Fall an, die relative Luftfeuchtigkeit phi betrage nur 20 %rF und die Temperatur T liegt bei 20 °C = 293,15K.
Das Beispiel 3 können wir mal durchrechnen.
Die im Volumen V enthaltene Dampfmasse mD berechnet sich zu
mD = phi * Sättigungsdruck(T)/(RD * T) = 0,175 kg
(RD ist die Gaskonstante für Wasserdampf = 461,5 Nm/kg).
Nach den 8 Stunden befindet sich 800 g mehr Wasserdampf, also 0,975 kg. Das führt natürlich zu einer Änderung der relativen Luftfeuchtigkeit.
Die Formel nach der relativen Luftfeuchtigkeit phi aufgelöst:
phi = mD * RD * T / pS * V = 111 %rF.
Das bedeutet, dass die überschüssige Feuchtigkeit an den kältesten Stellen kondensiert, in die Möbel, Bettwäsche etc. zieht. Das heißt aber auch, dass jede Nacht für klimatische Bedingungen sorgt, die bzgl. Schimmelbildung mehr als bedenklich ist.
3 Ein paar Zahlen
Der Mensch betrachtet Umgebungsbedingungen mit 30 bis 45 %rF als angenehm. Der Schimmel fühlt sich bei Bedingungen > 60 %rF ganz wohl.
Ein Mensch atmet in der Stunde etwa 100 g Wasserdampf aus.
Wenn wir uns wieder die Dampfkurve anschauen:
- Bedingungen, bei denen wir uns wohlfühlen, führen alleine durch unsere Anwesenheit zu Bedingungen, die einer Schimmelbildung zuträglich sind.
- Wohlfühlbedingungen für uns führen zu Wohlfühlbedingungen des Schimmels, wenn die Temperatur nur um wenige °C sinken.
Das bedeutet, dass eine Beschäftigung mit dem Thema sinnvoll ist.
... Fortsetzung folgt ...
Beste Grüße
Andreas